interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-07-20


protraitbild

Ursel Sieber
Wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Anwendung von wissenschaftlich-psychologischen Erkenntnissen im täglichen Leben. Das betrifft einerseits das Wahrnehmen und Handeln von Individuen zum Beispiel im Arbeitsumfeld: wie arbeite ich am angenehmsten und effektivsten; andererseits auch von Gruppen: wie funktionieren und denken Gruppen, wie arbeiten wir zusammen? Als Architekturpsychologin biete ich mit meinem Team, auch mit Designern, Unterstützung bei der Fragestellung: Wie baut man Wohnungen oder wie unterstützt man Einzel- und Gruppenarbeit durch Räume und Objekte? Das alles aber immer mit den Menschen zusammen, die dort wohnen bzw. arbeiten und die übergreifende, genauso wie individuelle menschliche Muster haben. Banken sind in den letzten Jahren unser Arbeitschwerpunkt. Optimal ist es natürlich, wenn wir schon bei der Projekt-Ausschreibung dabei sind, wenn es zum Beispiel darum geht, dass ein Eingangsbereich Orientierung gibt, freie Wege angeboten werden, dass man sofort Gesichter sieht. Und dass der Servicebereich und die weiteren Abteilungen vom Raum und den Objekten angenehm und ohne Barrieren für Mitarbeiter und Kunden sind.

Wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
1991 habe ich erstmals Gisela Kasten vertreten. Wir hatten beide zusammen studiert, in Heidelberg angefangen, in München abgeschlossen. Ich hatte dann eine verhaltenstherapeutische Praxis, und Gisela hat in Ulm bei Nick Roericht begonnen, mit Designern zu arbeiten. Kunst und Architektur waren in meiner Studienauswahl, da hat mich Design irgendwann angezogen. Ein Jahr lang war ich dann ziemlich viel im Büro Roericht und habe versucht rauszukriegen, was Designer machen und was Psychologie da mitmachen könnte. Durch das Design habe ich erfahren, wie man mit Räumen umgehen kann. Zu Wahrnehmen und Handeln gibt die Psychologie viele Erkenntnisse. Aus der Psychologie heraus vertraue ich den Menschen, selber viel über ihr Handeln zu wissen. Die Ergänzung der beiden Disziplinen reizte mich damals.

Welche Aufgaben haben sie dort übernommen?
In Ulm Beteiligung an verschiedenen Projekten, wo es auch schon um Räume ging, speziell um Büros. Wir haben zum Beispiel den Arbeitsplatz für eine Telefonzentrale entworfen. Ab 1991 in Berlin Vertretung von Gisela und dort mehr der Akzent als Moderatorin: in Projekten für Studenten, wo es ums Präsentieren geht, Teilnahme an der Zukunftswerkstatt "Neustart" 1990 und in einer der kritischen Diskussionsrunden, wie es mit dem Fachbereich weiter gehen sollte - auf produktive Weise ging es bereits vorher um diese Zielsetzung, daran wurde ständig gearbeitet. Das hat Nick Roericht sehr intensiv betrieben. Was wollen wir? Wie arbeiten wir zusammen? Was sind unsere Ziele? Wie definieren wir uns? Die Zukunftswerkstatt griff diese Fragen im Sinne einer Lebens-Trendforschung auf, zusammen mit Dozenten und Studenten.

Was fällt ihnen zu der zeit und zu den umständen ein?
Damals dachte ich als Allererstes: oh, jetzt wirds preußisch. Ich komme ja aus Bayern und habe dort eine Zeit lang an der Uni gearbeitet. Aber diese Berliner Macht der Bürokratie war unvergleichbar. Ich saß auch viel in Sitzungen und musste für das Jährchen, das ich da gearbeitet habe, Riesen- Bestätigungen und Zeugnisse vorlegen. Die Verwaltung hat aus meiner Sicht eine ungeheure Macht, die Dozenten haben sich wirklich die Zähne ausgebissen an einer Verwaltung, die wie die Besitzer des Ganzen auftrat. Etwas anderes, woran ich mich erinnere: dass ich die Designer sehr künstlerisch fand, sehr auf sich zentriert in der Arbeit. Jeder machte sein Zeug und machte viel Kunst am Objekt. Aber das Faszinierendste war und bleibt: dieser große pädagogische Schwung, den Nick Roericht hat. Für mich ist er einer der besten Pädagogen. Zwar ein furchtbarer Meister. Man kann ihm eigentlich nicht so schnell etwas recht machen, weil er alles sieht, zu schnell denkt, zuordnet und man verzweifelt ist, weil man nicht kapiert oder anders denkt. Aber trotzdem ist er jemand, der sagt, bevor du etwas tust, schau alles an. Guck in alle Richtungen. Das heißt, grabe überall rum, öffne dich. Und dann zieh die Konsequenz draus und mach deine Arbeit. Das ist das, was ich gelernt habe, wo ich mich auch immer bemühe: das eingefahrene Terrain wieder zu verlassen, mich für anderes zu öffnen. Die Studenten haben das auch gelernt, aber sich dann wieder mit dem ganzen Gesammelten in ihre Kunstecke zurückgezogen. So hab ich das als Psychologin erlebt. Auf einmal ging wieder was zu. Vielleicht hängt das mit der Berufsrealität zusammen, die am Ende doch das fertige Objekt benötigt... Aber genau das ist das Problem, was ich heute mit den Architekten in der beruflichen Praxis habe. Wenn sie die Speisekammern in der Küche vergessen oder Wohnungen aufteilen, dass man gar nicht weiß, wer da wohnen kann.

Besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Ich kann besser die Professoren-Generation beschreiben, die ja das Modell für die Studenten abgab. Das waren auch Einzelkämpfer, wo jeder seinen Bereich abgrenzte und schaute, dass er sein Zeug macht und neue Felder findet. Nick Roericht natürlich in einer Sonderrolle, weil er das sehr viel lebendiger anpackte, und weil er die Studenten auf einen Weg schickte und den hinterfragte, mit Anregungen und Anstößen begleitete. Er belohnte die Neugierde, und er belohnte das eigene Entdecken, das eigene Experimentieren und Herangehen. Gisela war als Psychologin die notwendige Ergänzung: wie kann man mit dem Entdeckten weiter umgehen oder was kann man da jetzt genau noch sehen? Was gibt’s für Erkenntnisse der Psychologie dazu? Ja, und wie dokumentiert man das jetzt?

Übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Siehe oben.

Kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
In Projekten: mit Klaus Michel und Dorothee Guther. Sie hat für uns Entwürfe gemacht, als es um den Umzug einer Firma in neue Räume ging. Klaus hat Bankmöbel entworfen und Raumgestaltungen. Beide haben das Zuhören und Zugucken wirklich gut gelernt. Dann mit Petra Kellner - aber da mehr Beratung. Mit Inge Sommer haben wir eine eigene Zukunftswerkstatt zum Beruf gemacht. Zentrale Beziehung natürlich zu Gisela Kasten und Nick Roericht.

Was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Eigentlich wenig. Leider ist es mir nicht gelungen, Ansätze für ein Team "Psychologe - Designer" zu erproben. Ich als Architekturpsychologin hätte tätig werden können: Was mich gestört hat oder wo ich dachte, was ist denn da eigentlich los, waren damals die HdK-Räume. Die sahen aus wie eine dieser Schulen, wo man alle paar Jahre zum Wählen hingeht und denkt, darin kann man gar nicht leben. Da kann man nur die Wände ansprühen oder die Tische verkratzen. Die Gestalter-Studenten machten wunderbare Sachen, aber die Schule sah aus wie bei Hempels hinterm Sofa. Diese Diskrepanz habe ich nie verstanden. Außer bei Nick und am ID4, da war es funktional, da standen diese besonderen Möbel drin und da war Arbeitskultur. Aber ansonsten herrschte Nachlässigkeit der Umgebung gegenüber - gelehrt wurde allerdings, dass die Dinge, die uns umgeben, eine besondere Wichtigkeit haben! Ich glaube, das wirkte sich auch auf die Verbindung der Studenten zu der Hochschule aus: nicht umsonst sind die wie die Hamsterchen heim gegangen, haben irgendwo gebastelt und ihre Ergebnisse für die Präsentation wieder gebracht.

Haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Das "Nach-allen-Richtungen-Erkunden" ist mir wichtig. Das heißt, alle Beteiligten und alle unterschiedlichen Denkansätze einzubeziehen. Möglichst viele Leute, also auch die Techniker. Oder Künstler, die mit Wahrnehmung experimentieren. Dann das, womit Gisela gearbeitet hat, aber in der Praxis so schwierig umzusetzen ist: das Erproben. In Büros improvisiere ich oft, stelle die Pappschachtel auf den Tisch und sage, darauf kommt jetzt dein Computer, probier mal aus. Ich rücke und räume auch mit den Leuten. Oder ich lasse das Erproben spielen, fordere auf, zuhause auszuprobieren.

Wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum Handwerkszeug verändert?
Das kann ich nur von meinen Projekten sagen und da gebe ich die Richtung vor. Diejenigen, mit denen ich gearbeitet habe, Dorothee Guther oder Klaus Michel, die haben "händisch" gearbeitet. Dorothee ist eine hervorragende Zeichnerin. Das war wenig Computer bestimmt - sondern die Umsetzung war sehr handwerks- und materialbezogen und anfassbar. Darauf lege ich Wert. Die Innenarchitekten, mit denen ich oft tun habe, drehen ihre Filmchen und spielen am Computer mit virtuellen Einrichtungen herum. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Kunden und ich die Übersetzung in die Praxis nur mit viel Mühe leisten können und uns sehr oft täuschen. Dinge, ihre Maße und Größen wirken in der Realität immer nochmal anders. Noch schwerer fällt es, sich Handlungsabläufe mental vorzustellen. Da stelle ich lieber eine Kiste in Größe eines Schreibtisches hin, bevor ich mir nur das Bild eines Schreibtisches anschaue.

Was glauben sie, was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern auch für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Ich erlebe Designer bei Kunden zum Beispiel als Gestalter von Automaten. Oft haben sie nur noch die Benutzeroberflächen zu glätten, zu schönen, bunte Knöpfe anzubringen. Ich denke, die Berufe haben sich auseinander entwickelt. Da ist der Techniker, der Ingenieur, der Marketingmensch und der Gestalter. Das wäre eigentlich ein Team. Der Designer müsste von Anfang an in diesem Team sein, denn auch ein Geldautomat hat unheimlich viele Forderungen, die aus dem Hintergrund kommen. Das Wichtige ist, diese Teamarbeit zu lernen, alle Professionen einzubeziehen, offen zu sein. Beim Beobachten, Schauen, Analysieren kommt nach meinem Eindruck der Gestalter im Moment gar nicht zum Zuge - wie wir oft auch nicht. Oft werden wir erst hinzugezogen, z.B. wenn ein Architekt schon seine Pläne gemacht hat, darauf auch stolz ist, viel Arbeit reingehängt hat und bereits in eine Richtung gegangen ist.

Worauf könnten sie leicht verzichten?
Auf Bürokratie, auf Zeugnisse, auf historische Ausbildungsnachweise - damit jeder, der dafür den Mut hat und aufgeschlossen ist, immer wieder andere Wege gehen kann. Das ist etwas, was ich Nick Roericht hoch anrechne. Er fördert diesen Wege.