interview

interviewer:
2.2b.0. Simone Kaempf
2006-02-27


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Wolf-Dieter Trüstedt
wie würden Sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich mache Musik - seit 1970. Es ist eine Andere Musik: experimentelle Musik, Computermusik, Musik in Performances - Tanz, Theater. An der Universität Ulm arbeite ich am Musischen Zentrum und habe dort das EMU-Ensemble gegründet. In München habe ich auch einen Lehrauftrag und baue zur Zeit das Musiklabor München auf - in dem ehemaligen Forschungsinstitut für Kernphysik, der Reaktorhalle. Dieser Ort ist ein schöner Zufall, weil ich dort meine Promotion in Physik gemacht habe. Mich interessiert das Phänomen Klang, und das durchaus mit dem Denken eines Physikers: Wie funktioniert Klang? In der abendländischen Tradition wird er durch die Harmonik durch die vertikale Zusammensetzung der Tonhöhen im Orchester erzeugt. Mich wundert z.B. dass Musikstücke bei Beibehaltung der Melodie von einem Instrument auf ein anderes umgeschrieben werden. In der Musik suche ich andere Intensitäten als der abendländische Musiker. Meine Musik ist eher in der asiatischen Musik zu Hause. Der Raum zum Beispiel ist in meiner Musik sehr wichtig. Ich kann die Idee nicht nachvollziehen, auf großen städtischen Plätzen klassische Musik zu spielen, da werden Sinfonien zu Lautsprecher-Lärm.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
Nick Roericht hat mich geholt. Das war 1991. Als wir gerade das Musische Zentrum in Ulm eröffnet hatten, kam auch eine ID4-Studenten-Gruppe aus Berlin mit ihren selbstgemachten Instrumenten und wir haben zusammen improvisiert. So lernten wir uns kennen.

hatten Sie zuvor schon kontakt zu designern?
Nein, eigentlich nicht. Aber ich hatte mir Designer schon so vorgestellt, weil ich die Bauhaus-Geschichte ein wenig kenne und deswegen auch die Haltung zu einer gewissen Art von Klarheit, das heißt, einer komplexen Klarheit, aber trotzdem Klarheit, kannte.

was fällt ihnen zu den umständen und der zeit am ID4 spontan ein?
Am stärksten fiel mir der Konflikt mit der Kunst auf. Das fand ich ganz spannend. Den ganzen Gang entlang hingen lauter Texte von der Decke, die das beschrieben, was Design von der Kunst unterscheidet. So etwas passiert, wenn man zwei Disziplinen, die sich nicht unähnlich sind, in ein Haus einsperrt. Dann ziehen alle die Wände hoch und werden sich sehr fremd. Wenn die nicht zusammen in einem Haus säßen, wäre der Konflikt bei weitem nicht so stark. Aber ich glaube, den Konflikt gab es auch an der HfG zwischen Kunst und Design.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Das erste Projekt hieß "Der Klang der Dinge". Wir sind im Haus rumgesaust, haben alles angeklopft, die Geräusche von Abwasserrohren aufgenommen, alles, was irgendwie Klang ist, zusammengetragen und in einer Performance aufgeführt. Das Lehrziel war das Entdecken von Gegenständen und ihren besonderen Eigenschaften. Ein weiteres Projekt hieß dann "Klang der Stille". Wie klingt Stille? Wie klingt es, wenn ein Wattebausch herunterfällt? Es ging dann zum Beispiel auch um Gestik, mit der man, ohne ein Wort zu sprechen, etwas vermitteln kann.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Sehr aufgeschlossen, was wohl auch daran lag, dass jene Studenten, die zu Nick gingen, über den Tellerrand hinaus schauen wollten und per se neugierig und komplex operierten. Das war auch etwas, denke ich, was Nick besonders gefördert hat. Er gab nicht strikt vor, wie ein Designer etwas zu machen hat. Dieser weite Blick der Studenten war für mich sehr angenehm, weil man ohne Probleme ein Seitenthema aufgreifen konnte, das sofort verstanden wurde und gegenseitiger Respekt bestand. Auch unter den Studenten wurde immer Beifall gegeben dafür, das jemand etwas gemacht hat - mit oder ohne Fehler, hauptsache "gemacht".

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Nick ließ einem völlig freie Hand, das fand ich prima. Und wenn er kam, dann wurde über alles mögliche, aber gar nicht über das Falsch, Anders, Besser der Arbeit diskutiert. Warum, weiß ich gar nicht. Nur im Kontext von Nick Roericht habe ich damals nahtlos verstanden, warum er mich als Musiker in Projekte holte. Heute ist solche Haltung noch viel seltener geworden, obwohl viel von Interdisziplinarität geredet wird.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Keinen, außer zu Nick und Gisela. Zwischenzeitlich gab es Kontakt zu zwei Studenten, aber dann nicht mehr. Berlin und München haben jeweils ihre eigene Szene. Der Austausch ist gering und findet eher in der Hochkultur statt, wo auf Stadtebene genügend Geld fließt.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Eigentlich nichts. Hat alles sehr gut funktioniert, und ich fühlte mich dort sehr aufgehoben. Dabei hat Gisela eine große Rolle gespielt, weil sie in allen Projekten mitgemacht hat und das Umfeld bereitet hat, so dass ich auf keine institutionellen Schwierigkeiten gestoßen bin.

haben sie etwas in ihren Arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Direkt weiterentwickelt vielleicht nicht. Ich habe mit der Musik eine ganze Menge hineingetragen. Was mir gefallen hat, war die Art der Konzentration, wie die einzelnen Studenten ihre Performances mit viel Liebe realisiert haben.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Die eine Frage ist natürlich, ob Design überhaupt wichtig ist. Ich halte die Schulung der Ästhetik für entscheidend. Nicht in dem Sinn, dass man mit Ästhetik überrollt wird oder alles durchdesignt. Das ist auch nicht das, was bei Roericht gemeint war, sondern die Ästhetik des Handelns stand im Vordergrund. Aber ich habe das Gefühl, dass heute alles platter, dumm professioneller wird. Im Bereich der experimentellen Musik sehe ich wie im Design, dass Begriffe schnell von Werbestrategen geschnappt und missbraucht werden.

welche hoffnungen oder ängste knüpfen Sie daran?
Die Angst besteht im Ausverkauf dieser wertvollen Begriffe, in der ausschließlichen Kommerzialisierung von Kultur.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Eigenheime. Das Kaputtmachen von Land durch häßliche Häuser. Ich liebe die Großstadt mit der notwendigen Schulung der sozialen Intelligenz. Dann kann ich auf Einheitsmeinungen gut verzichten. Ich bedaure den Mangel an Persönlichkeit - und an Persönlichkeiten. Und es fehlen mir die Geschäfte, wo man kleine Dinge, Einzelteile, Schräubchen, Metalle kaufen kann. Man muss heute immer weiter fahren, um sogenanntes Halbzeugs zu kaufen, um daraus etwas selbst herzustellen. Naja es gibt das Internet. Ich möchte aber die Dinge anfassen, berühren.