interview

interviewer:
Simone Kaempf






Prof. Karin Schmidt-Ruhland
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich bin Designerin, ich initiiere und betreue Projekte, und ich lehre, seit 2007 als Professorin für Spiel- und Lerndesign an der Burg Giebichenstein in Halle, vorher als Lehrbeauftragte an der Universität der Künste Berlin. Dabei interessiert mich vor allem das nutzer- und handlungsorientierte Entwerfen. Themenschwerpunkte der letzten Jahre: Alter, Kinder, Generationen; Ziel: durch die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen sowohl emotional als auch funktional Bedürfnisse zu befriedigen und durch Gestaltung Handlungen zu beeinflussen. Beispiel: In einer interaktiven Kinderausstellung habe ich einen Supermarkt für Kinder entwickelt. Im Vordergrund stand dabei zwar die Ernährungspyramide und das Vermitteln von Herkunft, Bedeutung und Anwendung von Lebensmitteln, insbesondere aber auch, durch die Anordnung und Ästhetik den Kindern den verantwortungsvollen und rücksichtsvollen Umgang mit den Waren zu vermitteln. Also nicht, wie im Moment die Tendenz, kaufen und essen aus dem Karton mit dementsprechenden Folgen. Auch initiiere und organisiere ich Design-Wettbewerbe für NachwuchsdesignerInnen zum Thema der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft und der Herausforderung für ein Design der Zukunft, eines meiner Hauptthemen der letzten zehn Jahre. Die Entwicklung des Gütesiegels "Universal Design" im Jahr 2007 am IDZ offenbarte einmal mehr, wie schwer es ist, Produkte zu finden, die diesen Kriterien genügen - ein weiteres Puzzlestück einer Sensibilisierung, um zu verdeutlichen: wenn ihr Produkte entwickelt, zieht die Nutzer bitteschön mit ein.

wann und warum wurden sie ans ID4 geholt?
Ich wurde 1983 an der UdK immatrikuliert und hatte zuvor Betriebswirtschaft und Soziologie studiert. Der Wunsch, Design zu studieren, schlummerte schon länger in mir, unter anderem inspiriert durch eine Ausstellung in Berlin, bei der mich Entwürfe von Achille Castiglioni stark beeindruckt hatten. Bereits im Orientierungssemester an der UdK war mir klar, dass ich unbedingt bei Nick Roericht studieren wollte. Das hatte dann auch geklappt, die Auswahl konnten wir damals nicht unbedingt selber treffen. Das Studium war spannend, intensiv, abwechslungsreich, oft sehr aufregend. Nicht immer war mir klar, was ich dort wirklich mitgenommen habe, das kam wie bei vielen Anderen erst später. Nach meinem Diplom wurde ich dann angesprochen, ob ich als Mitarbeiterin beim id4 einsteige. Ich hatte weder darüber nachgedacht noch damit gerechnet, fühlte mich eigentlich draußen, weil ich vor dem Diplom ein Kind bekommen hatte.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Angefangen habe ich mit einem Lehrauftrag, gemeinsam mit Jörg Hundertpfund und Lutz Köbele zum Thema "ready-made" (ein Projekt, an dem ich selbst als Studentin bei Andreas Brandolini teilgenommen hatte), und nach einem Semester bin ich dann als Mitarbeiterin im id4 gestartet. Geteilt habe ich mir die 2/3 Stelle anfänglich mit Bettina Möllring, und auch Martin Rissler, mein Vorgänger, war in der Anfangszeit weiter im Team. Der Modellstudiengang "integrativer studiengang" startete zu diesem Zeitpunkt. Ich habe einige der vielen Projekte betreut und gemeinsam mit Bettina die Dokumentationsreihe im Grundstudium geplant und durchgeführt. Im Hauptstudium sind wir mit der Veranstaltungsreihe "workends" gestartet, bei der es darum, ging Persönlichkeiten von draußen an die Hochschule zu holen. Studierende waren als Scouts bei den Vorbereitungen beteiligt, und auch die "workends" wurden in zahlreichen Dokumentationen festgehalten, die ich dann in einer Reihe zusammengefasst habe. Während einer Evaluation an der UdK entstand eine Posterausstellung und die id4-Broschüre, um die ich mich gekümmert habe. Betreut habe ich die unterschiedlichsten Projektprofile, von Kurzzeitprojekten über Vor-Ort- und Kooperationsprojekte, und später dann Projekte mit dem Materialschwerpunkt Porzellan, gemeinsam mit dem Bereich "Aesthetische Praxis" von Kirsten Langkilde und in Kooperation mit der Fa. Rosenthal. Nach der fünfjährigen Mitarbeitertätigkeit habe ich bis zu Nicks Emeritierung im id4 gearbeitet. Gemeinsam mit Gisela Kasten und Bernhard Meyer arbeiten wir seit 2002 an der Aufarbeitung des id4-Materials für das "roericht.net". Das bedeutet also eine lange und intensive Strecke im id4.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Ständige Präsenz, super viel Arbeit, ständige Veränderung, immer wieder neue Einflüsse, spannende Leute, gesellschaftliche Bedeutung, Methoden...

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Ich habe mehrere Generationen im id4 erlebt, weil immer wieder neue Konstellationen überlegt, angeregt und gesucht wurden. Nach dem "integrativen Studiengang" war klar, dass Nick nur noch fünf Jahre da sein würde. So entstand die Idee, die "flying students" zu ehemaligen id4-lern zu schicken, danach kamen die "transiteure". Das Prozesshafte war und wurde immer wichtiger, das schnelle Agieren auf Situationen, die es zu gestalten galt. Daneben diskutierten wir über das Handwerkszeug des Designers, in welcher Form es zu vermitteln ist. Gibt es die "Routinen"? Darf man das Darstellungsrepertoire überhaupt so nennen, wie bekommt man beides unter einen Hut? Eine Form der Umsetzung solcher Diskussionen war auch die Struktur der "workends" - das Üben flinken Umsetzens von außen eingebrachter Inhalte. Für mich vor allem die Frage nach Methoden, die ich immer wieder, vor allem mit Gise, diskutierte. übereinstimmungen / inspirationen /reibungen an nick roerichts position? In der engen Zusammenarbeit mit Nick Roericht ist man in ständiger Diskussion, Veränderung, Erneuerung, Vorausschau und allein dieser Prozess inspiriert ungemein.

übereinstimmungen / inspirationen /reibungen an nick roerichts position?
In der engen Zusammenarbeit mit Nick Roericht ist man in ständiger Diskussion, Veränderung, Erneuerung, Vorausschau und allein dieser Prozess inspiriert ungemein.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Durch meine Position im id4 habe ich natürlich sehr, sehr viel Kontakt zu ehemaligen id4lern und Mitmachern, von ganz eng bis ganz weit "weg". In der Lehre gibt es viele Kooperationsprojekte mit Ehemaligen. In Halle waren es bisher drei id4ler, an der UdK waren es natürlich noch viel mehr. Viele haben die Laufbahn der Lehre eingeschlagen, und so sind bundesweit überall ehemalige id4ler als Lehrende tätig, mit denen man je nach Aufgabe in Kontakt tritt.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Jedesmal, wenn man etwas macht, macht man es etwas anders als vorher. Weil man um Erfahrung reicher ist. Jede Wiederholung ist ein Zugewinn. Insofern stelle ich mir die Frage nicht. All das, was ich bisher gemacht und erlebt habe, ist für mich gut und richtig so gewesen. Und genauso freue ich mich auf Neues.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Da ich als Mitarbeiterin am Leben und Arbeiten intensiv integriert und aktiv war, kann ich von Übernahme selber gar nicht mehr sprechen oder es so bezeichnen. Für mich ist die ständige Entwicklung und Vermittlung neuer handlungsorientierter Methoden eine permanente spannende Herausforderung. Klar woher das kommt :-). Im Forschungsprojekt "sentha", in dem ich auch über fünf Jahre gearbeitet habe und in den thematisch daraus resultierenden weiteren Projekten mit Studierenden standen dann auch vor allem die Methoden des partizipativen und empathischen Entwerfens im Vordergrund. Dann selbstverständlich die Öffnung des Themas, der konzeptionelle Ansatz und die gesellschafltiche Relevanz und der Transport von Methoden und Ergebnisse nach Außen an die unterschiedlichsten Orte. Für mich das Gesamtpaket des Designers. In Halle lege ich jedem Projekt einen Einschub übers Dokumentieren ein. Ich nenne es heute "das festhalten von gedachtem und von gemachtem", und ich unterstütze prozesshaftes Dokumentieren. Während meines Studiums kam der Mac und gewann schnell an Bedeutung. Im integrativen Studium haben wir dann die Visualisierung von Prozessen etabliert, es gab Studenten, die sich dafür interessierten. Katrin Warneke zum Beispiel hat später Lehre im Bereich Dokumentation gemacht. Ist die Dokumentation ein Drehbuch, ein Protokoll, ein Interview oder einfach eine Produktdarstellung, lauteten die Fragen, die wir intensiv diskutiert haben.

wie hat sich, seit sie arbeiten/lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Gute Visualisierung als Erklärungsmittel, in welcher Form auch immer, ob Modell, Bild, Zeichnung, war und ist das Handwerkszeug des Gestalters. Erleichtert wird es durch Computer, Kamera, Video, 3D-Drucker, ... was abhängig und auch unabhängig macht. Zur Formfindung ist aber immer noch die "Hand"arbeit als haptisches Erleben und Spüren unersetzlich, denn zum größten Teil geht es ja um Produkte, mit denen man dann auch umgeht, viele hat man täglich in der Hand. Für die DesignerInnen als gute Beobacher, Analytiker und vor allem Darsteller und Vermittler sind die o.g. Werkzeuge für Wiederholung, Schnelligkeit und Professionalität allerdings nicht wegzudenken und natürlich spannend.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Das Verschwinden der Dinge und somit des Designs war die permanente Diskussion im id4. Die Objektfixierung haben wir dort bereits vor ewigen Zeiten abgelegt, was allerdings nicht bedeutet, dass es die "Objekte" nicht mehr geben sollte. Zur Anschauung müssen Objekte existieren, was Nicks Sammlung in Ulm ja auch zeigt. Solange es Produkte gibt, werden die Menschen sie auch verändern wollen. Im "sentha"-Zusammenhang bezeichnete ich die Produkte als "tools", eben Hilfsmittel, die wir brauchen, um bestimmte Handlungen auszuführen, und das möchten wir so funktional als auch ästhetisch wie möglich. Das ist die Herausforderung des Gestalters, des Designs. Das bedeutet auch, wir können, wenn wir uns umschauen, auf eine Menge Dinge verzichten, aber bestimmte Dinge (und auch Handlungen/Dienstleistungen) brauchen wir, und mit und an denen wollen wir Spaß und Freude haben, oder etwa nicht?

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
In meinem Thema der letzten Jahre zur demografischen Entwicklung wird vor allem deutlich, dass dieser Aspekt eines Designs, das dem tatsächlichen Nutzen folgt, in Zukunft eine große Herausforderung für die Gestalter darstellen wird - und das finde ich erfreulich. Da ist viel drin an Innovation, Experiment und Herausforderung, sei es nun in der Nutzung, der Materialität, dem Ausdruck und der Bedeutung. Im Moment gibt es immer mehr Menschen, die sich dafür interessieren und sich darum kümmern: super!

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Der Designer muss immer einen Schritt voraus sein, d.h. gut beobachten, analysieren und szenarisch vorvollziehen. Gewagte Prognosen und Experimente führen zu innovativen Ansätzen. Dabei sollte sich die Gestaltung an den Nutzer, der Handlung und deren gesellschaftlicher Relevanz messen. Das gilt es zu vermitteln, anzuregen und zu unterstützen.

worauf können sie leicht verzichten?
Langeweile. Und Dinge, die mich nicht berühren und mir auch nicht helfen.