interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-07-01


protraitbild

Prof. Andreas Brandolini
wie würden sie jemand anderem ihren job erkären?
Ich helfe Menschen, sich mit materiellen Dingen in ihrem Leben einzurichten. Das hat mehrere Ebenen: Hilfestellung, sich darüber klar zu werden, was sie eigentlich brauchen, was sie sich wünschen, und ob sie sich wirklich wünschen, was sie brauchen. Im Wesentlichen arbeite ich im Interior- und Möbel-Design, meist an der Schnittstelle zur Architektur. Das vermittle ich auch meinen Studenten an der hbk saar. Das Berufsfeld des Designers ist heutzutage nicht mehr sehr klar umrissen. Unterschiedliche Disziplinen spielen da mit eine Rolle. Viele Felder, auf denen man sich als Designer bewegt. Das tue ich auch selbst. Das geht vom Design eines Glases über Ausstellungsgestaltungen, dem Erfinden und Durchführen von Events bis hin zur Architektur.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Der Zufall spielte schon eine Rolle. Ich habe eigentlich Architektur studiert. Nach dem Abschluss fuhr ich mit einem Freund - ein Architekt, der Nick kannte - durch Südddeutschland, und wir schauten auch in Ulm vorbei. Weil der Freund für ein Projekt keine Zeit hatte, fragte Nick, ob ich mitarbeiten würde. Das Projekt war für drei Monate gedacht, ich bin anderthalb Jahre geblieben. Eine Zeit der Zusatzausbildung, die mich zum Design geführt hat. Dann, ab 1981, habe ich am ID4 Lehraufträge bekommen und Entwurfsprojekte betreut. Parallel habe ich in Berlin "Bellefast" und die Werkstatt in der Crellestraße mitgegründet.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Durch das, was ich privat gemacht habe - immer so tituliert als "neues deutsches Design" - habe ich relativ viel organisiert und an Ausstellungen teilgenommen. Den frischen Wind, der auf dieser Wildbahn herrschte, habe ich mit an die Hochschule gebracht. Dafür hat mich Nick reingeholt, denke ich. Ich habe selbstständig Projekte betreut, manchmal zusammen mit Wolfgang Sattler, Jasper Morrison oder Joachim Stanitzek, und dann immer versucht, die Arbeiten öffentlich zu machen. Welche Projekte die wichtigsten waren? Ich will nicht hierarchisieren. Die größte Außenwirkung hatte sicher "KdO", was ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehe. Eigentlich sollte das Projekt die Augen öffnen, denn es ging um Entwurfsmethoden und nicht um "neues Design". Das ist schief angekommen. Wurde dann ein Teil des "neuen deutschen Designs". Vieles wurde übernommen, was von uns gar nicht so gemeint war. Für mich war es immer nur eine Methode gewesen. Dass man mich mit dieser Zeit in Verbindung bringt? Wohl, weil ich als Motivator unterwegs war, Mut machte und half rauszugehen, indem ich es vorgelebt und die Studenten mitgenommen habe. Das war, denke ich, ein Schub: sie haben angefangen an sich zu glauben - und zwar jetzt und hier.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Um das eben Beschriebene zu erreichen, musste man Vieles wegschieben. Musste eine Gegenposition aufbauen, um mit geschwellter Brust rausgehen zu können. Wie gesagt ging es mir nicht darum, eine neue Position als Absolutes zu formulieren, weil radikale Gegenpositionen oft genauso dogmatisch sind wie die Position selbst. Mir ging es ums Öffnen - das war das Wesentliche. Im Vergleich hatte Italien schon damals eine Tradition, immer wieder neue Positionen zu formulieren, ohne das Alte schlecht machen zu müssen, sondern es weiterzuentwickeln. Dafür war auch die Industrie offen.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Ich glaube nicht, dass sie soviel anders waren als heute, mit dem Unterschied, dass ein Klima herrschte, in dem man an die eigene Position geglaubt hat und sie deutlich machen konnte. Das war auch in der Kunst, wo die "jungen Wilden" und andere einen Umschwung herbeiführten, oder in der populären Musik. Insofern war es damals leichter für die Studenten.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Damals war HdK die einzige Hochschule in Deutschland, die sowas gefördert und ermöglicht hat. Das liegt ganz klar an Nick und der Art, wie der methodisch mit den Studenten gearbeitet hat. Bis heute sehe ich eine große Übereinstimmung, weil er es immer schaffte, neue Sichtweisen entstehen zu lassen. Reibungspunkt war, dass ich schon damals ans Objekt geglaubt habe. Für Nick war die Methode immer wichtiger als das Ergebnis. Für mich beschäftigt sich Design mit der dinglichen Welt, und alles, was mich umgibt ist Ausdruck der Gesellschaft. Wenn man den Blick historisch zurückwirft, sind das, woran man vergangene Gesellschaften misst, immer ihre ästhetischen Produktionen: Kunst, Architektur und die Objekte des täglichen Lebens. Politische und soziale Zusammenhänge muss man in Büchern nachlesen. Aber das, was materiell übrig bleibt, legt ein sichtbares Zeugnis ab.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Ich bin 1989 nach Saarbrücken berufen worden und 1993 ganz von Berlin weggezogen. Da haben sich dann die Kontakte langsam verflüchtigt. Den Nick besuche ich noch gelegentlich in Ulm, mit Wolfgang Sattler und Axel Kufus habe ich ab und an Kontakt, mit Jasper Morrison bin ich nach wie vor gut befreundet und arbeite sporadisch mit ihm. Gisela Kasten natürlich! Fast hätte ich sie vergessen, was typisch wäre: Giese agiert unsichtbar - dabei hat sie bei der ganzen Sache eine sehr tragende Rolle gespielt bzw. durch ihre methodischen Fragestellungen die Fachgruppe ständig in Bewegung gehalten - und vor allem motiviert. Auch sie treffe ich zwar nur in größeren Abständen, aber mit noch größerer Freude.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Eigentlich nein. Mittlerweile sehe ich kritisch, dass durch den Rummel, der um das "neue deutsche Design" entstand, manche schnell zu Bekanntheit gekommen sind, von denen aber nie mehr was nach kam. Aber letztlich kann eine Hochschule nur das Rüstzeug mitgeben, und wenn jemand nicht den unbedingten Willen entwickelt, etwas daraus zu machen, kann die Hochschule auch nicht weiterhelfen. Interessant ist aber auch, manche aus der Zeit wiederzutreffen, die dann erstaunliche Karrieren gemacht haben.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Erfahrungen habe ich mitgenommen. Und Vieles mache ich heute ähnlich. Die Projekte mit Studenten verlaufen von handwerklich bis experimentell, wobei Ersteres damals nicht so angesagt war. Den "Design-Poker" hatte ich am ID4 entwickelt, der Name taucht zwar in eurem Rückblick nicht auf, aber ich denke, es war ein gutes Projekt, und ich mache das heute noch mit meinen Studenten: spielerisch Entwurfsprozesse zu üben, in denen der Zufall die Hauptrolle spielt. Aus fünf Kategorien - Material, Materialverbindung, Materialherkunft, für wen, warum - werden Karten gezogen, und die Kombination erhält man als Briefing. Auch in realen Designprozessen ist es manchmal so, dass man Ideen aus einer Ecke kriegt, auf die man von vorneherein gar nicht geschaut hat - das kann man üben.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkszeug verändert?
Da gibt es die Platitude vom Rechner. Aber der hat keinen so hohen Stellenwert, wie ihm zugewiesen wird. Ich lasse an der Hochschule bewusst auch mit der Hand zeichnen, lege großen Wert auf Handwerklichkeit - mache sehr viel mit Massivholz, oder Glas, weil das Verstehen des Materials und seiner Bearbeitung dort eine große Rolle spielt. Der Übergang vom Material zur Form ist hierbei sehr direkt. Lernen, welche Möglichkeiten und Einschränkungen das Material bietet. Für mich ist aber, heute wie damals, das wichtigste dabei, dass eine Lust an der Gestaltung entsteht. Und wenn die entsteht, muss man sich um die Studenten auch keine Sorgen machen.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Unterscheidet sich nicht sehr von anderen Disziplinen. Durch die Globalisierung ist die Welt unheimlich groß geworden. Und umso schwieriger ist die eigene Positionierung oder überhaupt Zugang zu einer aktiven Rolle zu finden. Ich selbst versuche mich mehr auf die Regionen, in denen ich selbst lebe zu konzentrieren, die wieder stärker werden können, wenn sie ihre Besonderheiten entwickeln. Ich fördere auch Eigeninitiativen der Studenten und sage, es ist nicht so wichtig, dass ihr nicht in New York oder Mailand präsent seid, wenn es nur erstmal regional funktioniert. Das gibt Sicherheit. Man muss sich Betätigungsfelder erarbeiten. Wenn du nur im Netz hängst und ständig vor Augen hast, was in Hongkong oder sonstwo passiert, wirst du kirre. Für starke Persönlichkeiten ist das ein Anreiz, aber nicht jeder ist so stark. Ich finde deswegen auch nicht schlecht, was z.B. in Berlin mit dem Designmai entstanden ist, auch wenn nicht alles gefällt, was da steht. Aber das ist sekundär. Ich sehe junge Designer, die sich ein Umfeld schaffen, in dem sie existieren können. Wenn das gut läuft, geht's auch nach außen. Das habe ich in den 80er Jahren propagiert und das tue ich heute auch noch.

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Es gibt viele Beispiele, wo das funktioniert. Das heutige Top-Design aus Holland hatte sich zunächst lokal etabliert und damit haben sie sich eine internationale Existenz aufgebaut. In Frankreich hat die Industrie frisch erkannt, dass aus Foren für junge Designer etwas Neues entstehen kann. In Deutschland ist das immer selbstinitiiert entstanden.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Was mir besonders wichtig ist in der Lehre: das Üben kontextbezogenen Entwerfens. Man hat durch die Globalisierung einen vermeintlich riesigen Markt vor sich, den man nicht mehr genau spezifizieren kann. Mir ist wichtig, durch kontextbezogenes Denken besondere Lösungen zu finden und Zusammenhänge herzustellen, seien sie ökonomischer, kulturhistorischer, sozialer, technologischer, oder regionaler Art.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Spontan: auf gar nichts. Sonst wird die Welt nur uninteressanter. Aber eine Sache fällt mir doch ein: Da ich an der Schnittstelle zur Architektur arbeite, habe ich oft öffentliche Auftraggeber. Da ist man gezwungen für die Ausführung der Projekte öffentliche Ausschreibungen zu machen, die am Ende immer den billigsten Anbieter bevorzugen. Aus der Praxis weiß ich, dass das längerfristig meist die teuersten Lösungen sind. Auf diese Art der Arbeitszeit- und Mittelverschwendung könnte ich gut verzichten.