interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-05-10


protraitbild

Joachim Stanitzek
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich begreife das so, dass ich in der Welt der Gegenstände, Objekte und Architektur nach Lösungen suche, die das Leben vereinfachen, aber bereichern, erleichtern, aber interessanter machen. Ich arbeite frei, auch als Designer. Von Haus aus bin ich Architekt.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
1982. In dem Jahr hatte ich mit Andreas Brandolini das Projekt "Bellefast -Werkstatt für experimentelles Design" ins Leben gerufen. Brandolini war bereits Lehrbeauftragter am ID4 bei Nick Roericht. In dem Bellefast-Projekt begannen wir, uns ganz anders mit Gebrauchsgegenständen zu beschäftigen: dem Hinterfragen der Rezeption, der Suche nach neuen Zugängen und neuem Verständnis von Gebrauchsfuktionen und Ästhetik der Objekte. Ein Stuhl ist von der Funktion her immer ein Stuhl. Aber ein Stuhl muss nicht aussehen wie ein Stuhl. Deshalb waren wir wohl auch für Nick interessant, Projekte zu betreuen.

hatten Sie zuvor schon kontakt zu designern?
Ja, weil ich zwar an der TU Berlin (und parellel als Gaststudent an der HdK) Architektur studiert hatte. Am Lehrstuhl für "Entwerfen und industrielles Gestalten" der TU Berlin, wurde Objekt- und Detaildesign von Prof. Gerhard Ssymmank gelehrt, der zuvor leitender Architekt im Architekturbüro von Hans Scharoun war. Die konkrete Arbeit am "Design-Objekt" gehörte quasi mit zu meiner Architekten-Ausbildung. Bei Nick Roericht hatte ich meine Vorstellung vom Design noch einmal erweitert. Aber es war nicht so, dass ich andere Erwartungen oder Bilder im Kopf hatte.

welche aufgaben haben Sie am ID4 übernommen?
Einsemestrige Themenprojekte für Studenten im Hauptstudium. Zwei der insgesamt fünf Projekte sind auch auf der Roericht-Website dokumentiert. Das berühmt gewordene KDO (Kauhaus des Ostens)-Projekt zum Beispiel, Betreut von Andreas Brandoloni, Jaspar Morrison und mir. Jede Gruppe bestand aus etwas fünf bis sieben Studenten, die sehr motiviert waren. Das war eine Voraussetzung für die intensive gemeinsame Arbeit. Bei diesem Projekt ging es "...nicht um Recycling. Wir sind keine Nostalgiker, die in Mülltonen herumwühlen. Wir greifen viel früher in Verwertungsprozeß ein und können aus dem Vollen schöpfen. Wir nutzen den Überfluß. Es geht nicht um do-it-yourself. Wir sind keine Hobbybastler. Wir sind Designer. Wir nehmen, was wir finden (und wir finden, was wir brauchen), fügen das Gefundene zusammen, um eine neue Qualität und Aussagekraft der Dinge, aufregende Kombinationen von ungewohnten Materialien, vielleicht sogar ganz neue Möbel und Objekte, zu erreichen." ..., Zitat aus dem KDO-Katalog. Wie immer fand der Prozess in Phasen statt: Brainstorming zum Thema, Ideen eingrenzen, hinterfragen, nach dem Hinterfragen Lösungsansätze fomulieren, diskutieren, kritisieren, dann Arbeit am Entwurf. Im Gegensatz zur üblichen Themenstellung, war hier die "Idee zum Entwurf" durch das "Gefundene" quasi provoziert oder zumindest gefördert worden. Das wichtigste ist aber - und ich denke, das ist für den Fachbereich entscheidend - dass wir uns um einen ganzheitlichen Ansatz bemüht haben. Es ging nicht nur um Formfindung, sondern um das Verhältnis zum Objekt an sich und darum, die Objektwelt in Gänze zu betrachten von der Wahrnehmung des Objekts bis zur Herstellung des Produkts.

was fällt ihnen zu den umständen und der zeit am ID4 spontan ein?
Die Studenten haben sich sehr von Studenten anderer Fachgruppen unterschieden, sie waren sehr kritisch und sehr motiviert. Studenten, die ihren Arbeits- und sogar Lebens-Mittelpunkt am ID4 gesehen haben. Der Anziehungspunkt war natürlich Nick Roericht, der das begründet, kultiviert und gepflegt hat. Ich denke, er war in seiner ganzen Arbeitsweise dort so konkret wie möglich, aber so präsent und hilfsbereit wie nötig. Jahre später habe ich an der AbK Stuttgart ein Projekt gemacht und die Situation dort als Lehrer-fixiert erfahren. Wenn man sich die Karrieren der ID4-Abgänger anschaut, sieht man, dass sie nicht in dem geprägt wurden, was sie später werden sollten, sondern darin, unterschiedliche Berufsfelder im Design besetzen und bewältigen zu können: von Marketingchefs bis zu Automobil- und Industriedesignern. Viele lehren selbst, weil sie erfahren haben, dass Lehre Sinn macht.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Kritisch, ambitioniert, dem realen vollen Leben verbunden. Siehe oben. Ich habe seit Jahren keine Studenten mehr betreut und habe deshalb keinen Vergleichsmaßstab. Aber selbst die Generation, die Anfang der 90er Jahre aus der Zeit hervorging, war schon entschieden anders.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Inspirierend war das, ja. Ich habe ja keine fremden Dinge betrieben, sondern in einem besonderen Umfeld Themen bearbeitet, die mir a priori wichtig waren. Nick hat zwischendurch den großen Rahmen mit uns abgestimmt, aber die Konkretisierungen lagen dann bei uns Lehrbeauftragten oder den Assistenten. Reibungen? Gab es immer mit Nick. Das gehört nach meinem Empfinden zu seinem Prinzip des Dialogs. Er hatte für alle Vorschläge ein offenes Ohr, auch wenn er nicht übereinstimmend reagiert hat. Aber er war nie willkürlich, er hätte nie willkürlich etwas gestoppt, was nicht vom Gegenüber selbst einsichtig selbst erfahren werden konnte. Die Reibung war immer auf das Ziel des Erkenntnisgewinns aus. "Schwache, unsichere" Studenten hatten es darin natürlich schwerer, aber auch sie konnten dabei nur gewinnen. Man musste wissen, warum man da war. Obwohl er ganz klare soziale Umgangsformen gepflegt hat. Ich denke, alle haben gespürt, dass Nick sehr der Gegenwart verbunden war, aber nicht einem Personenkult. Er war ein Partner, de sich eingemischt hat, aber kein "Leithammel" sein wollte. Er hat nicht verlangt, dass man sich nach ihm richtet, aber er hat sich darum bemüht verstanden zu werden. Dieser legere, undogmatische Kommunikationsstil war etwas, was er sehr gepflegt hat. Nicht autoritär, fach-autoritär schon. Es ging immer um die Sache.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Konkret arbeite ich seit Jahren mit keinem mehr zusammen. Aber durch die Lehre oder indirekt über mehrere Ecken hält man in gewisser Weise Kontakt. Und da sehe ich, dass Nick hat viel vermitteln können. Andere Professoren tun das natürlich auch. Aber ihn unterscheidet, dass die meisten seiner Studenten auch etwas an- und mitgenommen und nicht nur angehakt haben. Seine Ansätze die Lehre betreffend haben für viele bis heute Bedeutung.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Was meine Seminare betrifft? Nichts.

haben Sie etwas in ihren Arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Das ID4 war eine Plattform, eine Station in meiner beruflichen Entwicklung. Danach habe ich meine persönlichen Ambitionen - natürlich nicht unbeeinflußt vom ID4 weiterentwickelt. Eine platte, konkrete 1:1 Übertragung hat nie stattgefunden, war nie gewollt und auch von keiner Seite intendiert.

sehen Sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Nach meiner Wahrnehmung besteht eine große Spannweite zwischen den zwei Polen Ästhetik/Dekoration und Hightech. Und diese Pole bewegen sich unabhängig voneinander weg. Eine Stimmung, eine Ambition, wie sie vom Bauhaus oder von der HfG Ulm ausgegangen ist, fehlt als Regulativ. Es ist (scheinbar wird Design nur am Medien- und Publikationserfolg gemessen) alles möglich und damit erscheint letzten Endes alles beliebig. In welchem Medium und an welcher Stelle gibt es Diskussionen und Aufregung über "schlechtes Design"? In der Architektur findet das statt. Design scheint nach wie vor keine "gesellschaftlich notwendige und kulturelle Verankerung" zu haben Das ist ein ganz großer Makel und eine Nachlässigkeit, die von dieser Disziplin selbst kultiviert wird. Und mit Design meine ich nicht nur die Formgebung, sondern das, was ich anfangs als Bereicherung des Lebens beschrieb.

welche hoffnungen oder ängste knüpfen Sie daran?
Ich schätze das als kurzweilige Übergangsphase ein. Kurzweilig, weil auch langweilig. Was ich vermisse, ist die Suche in dieser Übergangsphase. Es wird das getan, was leicht geht. Die Industrie treibt die Technologie-Entwicklung voran, weil man vordergründig den Börsenindex im Visier hat. Die andere Richtung geht zur Ästhetisierung und Vermischung mit Kunst. Eines der Übel sehe ich in der vielerorten mittelmäßigen Design-Ausbildung. Das Studium müsste mindestens so umfassend und gründlich werden, wie es etwa in der Architektur angeboten wird.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Auf Unverbindlichkeit und Bequemlichkeit, auf Unbelehrbarkeit und Borniertheit, auf Egoismus und Eskapismus etc.